Hast du schon einmal etwas von Zentangle gehört? Diesen kleinen Wunderwerken, die dir unter anderem helfen können, eine gerade, parallele oder senkrechte Linie zu zeichnen und dabei unglaublich filigrane Kunstwerke zu erschaffen?

Nein?

Dann solltest du diesen Beitrag unbedingt lesen. Und auch, wenn du schon ein paar Erfahrungen mit dieser Kunstform gemacht hast, kannst du hier dein Wissen vertiefen.

Was ist Zentangle?

Zentangle ist eine abstrakte, meditative Zeichenform, die in den USA zum besseren Erlernen von Kalligrafie entwickelt wurde. Dabei werden Muster, die aus wenigen, einfachen Strichen aufgebaut sind, kombiniert und zu neuen Formen zusammengesetzt. Das Zeichnen dieser Muster wird Tangling genannt.

Die kleinen, abstrakten Kunstwerke werden auf 8,9 x 8,9 cm großen Bögen gezeichnet. Durch ihre Größe kannst du diese Bögen überall hin mitnehmen und so an jedem beliebigen Ort ein Zentangle zeichnen.

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Der spontane, ungeplante Entstehungsprozess ist ein wesentlicher Bestandteil des fertigen, abstrakten Ergebnisses, das sehr oft den entsprechenden Gefühlszustand beim Zeichnen darstellt.

Das Wort Zentangle setzt sich aus “Zen” für Meditation und “Tangle” für Gewirr – hier für Kritzeln, Zeichnen – zusammen.

“Zentangle fördert nicht nur die Konzentration und die Kreativität, sondern steigert auch das persönliche Wohlbefinden und gibt uns das befriedigende Gefühl, etwas Tolles kreiert zu haben. Zentangle wird inzwischen weltweit praktiziert – von einer immer weiter ansteigenden Zahl von Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Interessen und Altersstufen.”
zentangle.de

Die Ursprünge von Zentangle

Erfunden wurden Zentangle von Rick Roberts und Maria Thomas in den USA.

In einer zufälligen Beobachtung merkte der ehemalige Mönch, dass Maria bei ihrer Arbeit die gleiche entspannende Konzentration erlebt wie er beim Meditieren.

Zusammen entwickelten beide aus dieser Situation heraus sich wiederholende Muster, die jeder zeichnen konnte. Durch das bewusste Setzen der Linien vertiefst du dich immer mehr in die Situation und deine künstlerische Arbeit und erlebst so einen meditativen und entspannten Zustand.

Ich habe die Erfahrung der Entspannung beim Zeichnen schon oft während meiner Ausbildung bei Schriftprojekten mit Feder und Tusche gemacht. Das kleinteilige Verzieren der Bögen durch die ebenfalls Strich für Strich aufgebauten Muster, hat mir geholfen, mich zu entspannen.

Und so war mir der beschriebene Zustand von Maria Thomas von Anfang an nicht fremd.

Die Grundsätze und Nutzen von Zentangle

Zentangle fördern, wie bereits oben erwähnt, deine Konzentration. Sie sorgen dafür, dass deine Ausdauer und dein Durchhaltevermögen steigen.

Die kleinen Kunstwerke fördern die Entwicklung der Feinmotorik und können als Aufwärmübung für andere künstlerische Aktivitäten dienen. Damit überwinden sie deine Angst vor dem leeren Blatt.

Nebenbei helfen sie dir, verschiedene Arten von Linien locker aus dem Handgelenk zu zeichnen, was dir beim Skizzieren zugutekommt.

In den USA werden Zentangle sogar als Therapiemethode eingesetzt. Diese können unter anderem Stress, Angstzustände, Konzentrationsschwierigkeiten und Schlafstörungen abbauen.

Beim Tangling gibt es einige Grundsätze, die das Zeichnen und die Tätigkeit an sich ausmachen. Zu diesen gehören der Wechsel des Blickwinkels, das vollkommen bewusste und bedachte Arbeiten und das Zeremonielle.

Ein Grundsatz, der für mich besondere Bedeutung hat und durchaus auch auf andere Lebenslagen angewendet werden kann, ist, dass alles möglich ist, wenn du einen Schritt nach dem anderen machst.

Das ist gerade bei sehr komplexen Zentangle notwendig. Denn jedes Zentangle beginnt mit einem einzigen Strich. Erst durch das immer weitere Hinzufügen von Linien und dem Zerlegen komplexer Muster in einfach zu zeichnende Schritte entsteht letztendlich dieses komplexe Kunstwerk.

Zentangle zeichnen

Um Tangling zu lernen, gibt es Zentangle-Trainer, die direkt von Rick Roberts und Maria Thomas ausgebildet und zertifiziert werden.

Ich selbst bin keine ausgebildete Zentangle-Trainerin. Doch ich denke, dass es mittlerweile auch sehr viele gute Bücher zu dem Thema gibt, die dir die Grundlagen zeigen. Ob du dich dennoch für einen Zentangle-Kurs entscheidest, liegt ganz bei dir. Sicherlich bekommst du in diesen Kursen noch einmal eine ganz andere Sichtweise auf diese Kunstform und kannst dich direkt mit anderen Teilnehmern austauschen.

Grundlagen: Strings, Tangles und Effekte

Zentangle haben eine eigene Sprache, die teilweise dem Englischen angelehnt und teilweise frei erfunden ist.  Die frei erfundenen Begriffe werden vor allem für die Namen der einzelnen Tangles – die Muster aus denen die Kunstwerke bestehen – verwendet. So wird sichergestellt, dass sie immer etwas Abstraktes bleiben.

Ich habe hierfür einmal als Erklärung gelesen, dass die abstrakte Sprache direkt mit dem Zeichnen zusammenhängt. Tangling ist für alle Menschen – auch für die, die behaupten, nicht zeichnen zu können. Und so ist es einfacher, etwas Abstraktes wie ein “Naus” zu zeichnen als ein Haus. Das Tangle kann zwar die Ähnlichkeit eines Hauses haben, aber es ist eben kein Haus. Und so kann es am Ende kein richtig oder falsch und kein schön oder hässliche geben, denn es bleibt abstrakt.

Um die Tangles zu zeichnen, benötigst du ein Zentangle-Tile, das in der deutschen Übersetzung als Kachel bezeichnet wird. Die Zentangle-Kacheln bekommst du mittlerweile in fast allen Künstlerfachmärkten. Du kannst sie dir jedoch auch selbst aus einem schönen, hochwertigen Papier schneiden.

Auf die Kachel zeichnest du mit Bleistift dünn einen String, der im Deutschen oft als Flächenteiler bezeichnet wird. Diese weitverbreitete Übersetzung wird von den Erfindern der Zentangle jedoch nicht gern gesehen und somit besser als “Faden” übersetzt. In den String kannst du anschließend die Tangles mit Fineliner zeichnen.

Die Form eines Strings kannst du immer frei bestimmen und dient lediglich als Orientierung. Sie muss also auf keinen Fall immer exakt eingehalten werden.

In der unteren Abbildung habe ich dir drei mögliche und ganz unterschiedliche Fäden aufgezeichnet.

zentangle strings
Auch wenn die genannten Begriffe eigentlich der Kern der Zentangle-Kunst sind, möchte ich dir noch die Effekte nahe bringen. Effekte sind Möglichkeiten, deine Tangles zu variieren und besser zu verbinden. Mir sind sieben dieser Effekte bekannt, die ich dir im nachfolgenden Bild zeige.
zentangle effekte
Aura entsteht durch 1,5 bis 3 mm Rand um Tangle in Form des Ursprungsrandes
Tautropfen vergrößerter runder Ausschnitt, wirkt überraschend und weckt Interesse
Lochung umrandet Tangle mit perlenähnlichen Kreisen und wirkt besonders intensiv
Abrunden Verdunkeln von Spalten, Ecken und Ritzen zum Verankern des Musters
Schattierung wird in allen Mustern verwendet für Tiefe, Dreidimensionalität und Form
Funkeln wird zur Aufhellung verwendet und entsteht durch Lücken in der Linie
Flair künstlerisches Ausdrucksmittel in Form von Linien für den eigenen Stil

11 Schritte zum Zentangle

Nachdem ich dir jetzt ein paar grundlegende Dinge gesagt habe, ist es an der Zeit, dass du selbst einmal das Tangling ausprobierst – sofern du es nicht schon getan hast.

In dem Buch 1 x täglich Zentangle – Die 6-Wochen-Kur für kreatives Zeichnen sind elf Schritte beschrieben, die für das Tangling wichtig sind. Ich habe sie dir hier einmal in leicht veränderter Form aufgeschrieben:

  1. Entspanne dich.
  2. Atme.
  3. Bewunder Papier und Material.
  4. Schätze die Gelegenheit wert.
  5. Zeichne den Rahmen.
  6. Zeichne den Faden.
  7. Zeichne die Tangles.
  8. Schattiere die Tangles.
  9. Signiere dein Zentangle und vermerke das Datum.
  10. Reflektiere und bewundere deine Arbeit.
  11. Betrachte dein Zentangle aus der Nähe und Ferne.

Einige Tangle-Anleitungen

Mittlerweile gibt es unzählig viele Tangles, aus denen du dein ganz eigenes Zentangle zusammensetzen kannst. Eine Sammlung mit entsprechenden Anleitungen zum Zeichen findest du auf der englisch sprachigen Seite tanglepatterns.com. Die gezeichneten Anleitungen sind selbsterklärend, sodass es hier nicht unbedingt notwendig ist, besonders gut Englisch zu beherrschen.

Da ich die Tangles, die ich verwende von verschiedenen Seiten und aus verschiedenen Büchern habe und gern eine Übersicht von allen wollte, habe ich mir mein eigenes kleines Vorlagenbuch erstellt. Dieses hat exakt die Größe einer Kachel (8,9 x 8,9 cm) und kann auch als Karte verwendet werden, wenn ich es nicht mit großen Ringen zum Buch binden möchte. Bei jedem Tangle habe ich den Namen, die Malanleitung und eine kurze Erklärung aufgeschrieben.

Die nachfolgenden Bilder in der Slideshow sind ausgewählte Tangles aus meinem Vorlagenbuch. Hierbei stellen die roten Linien immer den aktuellen Schritt dar. Das obere Bild zeigt eine mögliche Form der Schattierung und das Endergebnis des Tangles.

Weitere Zentangle-Inspiration

Das Tolle am Tangling ist, dass diese Kunstform nicht starr ist. Du kannst jederzeit deine eigenen Tangles entwerfen und verwenden.

Neulich war ich in einem Restaurant in der Altstadt von Görlitz essen und habe an den alten Springgewölben aus der Gotik Malereien entdeckt, die ausschließlich aus Tangles bestehen. Allerdings sind diese Malereien nach der Restaurierung der historischen Gemäuer 2002 nur aufgefrischt worden und schon viel älter als die Kunst der Zentangle.

Dennoch ist es erstaunlich, wo du überall Inspirationen für Zentangle finden kannst.

Doch beachte, dass nicht jedes Muster auch gleich ein Tangle ist. Das scheint für dich jetzt sicherlich etwas widersprüchlich, da wir im Deutschen Tangle mit “Muster” übersetzen, doch im Englischen wird der Unterschied deutlicher, da zwei verschiedene Wörter benutzt werden:

“A pattern is not always a tangle”
Maria Thomas

Für das Erschaffen eigener Tangles gib es einige Charakteristiken, die ein Muster als Tangle kennzeichnen. Ich habe dir die Tangle-Vorgaben von Maria Thomas einmal übersetzt.

Ein Tangle …
… ist abstrakt, nicht-objektiv (nicht-repräsentativ)
… hat keine Orientierung, es hat kein oben und unten – es gibt keine “richtige” Seite
… ist an und für sich ein Gesamtmuster, das organisch wächst; kein einzelnes Motiv – Zentangle ist die Wiederholung von Linien, nicht die Wiederholung einer Zeichnung
… besteht höchstens aus 2-3 elementaren Strichen – elementare Striche: Punkt, gerade Linie, gebogene Linie (wie eine Klammer), gebogene Line (wie ein S), Kreis
… ist einfach genug, um ohne Raster, Vorzeichnungen und Radiergummi gezeichnet zu werden
… nutzt niemals Lineale, Schablonen oder andere Konstruktionshilfen
… ist elegant und einzigartig

Die Kunst der Zentangle

Auch, wenn ich dir nun schon einiges zu Zentangle gesagt habe, ist es vor allem zu Beginn schwer, sich vorzustellen, was alles entstehen kann. Wie soll aus aneinander gesetzten Mustern ein in sich stimmiges und vor allem schönes Kunstwerk entstehen?

Wenn ich an mein erstes Zentangle denke, war davon überhaupt nichts zu spüren. Doch zum Glück gab es einige Inspirationsquellen, die mich davon abgehalten haben, das Tangling sofort wieder aufzugeben. Eine dieser Inspirationsquellen ist dieses Video:

Und so habe ich mich weiter im Zeichen von Zentangle geübt. Und schließlich die Kombination aus Zeichnung und Zentangle-Elementen für mich entdeckt.
Löwenzahn

Fazit

Zentangle sind nicht nur gut für Entspannung und Konzentration, sondern eignen sich auch gut als Lockerungsübung vor dem eigentlichen Kreativprozess. Sie können dir die Angst vor dem leeren Blatt nehmen.

Doch es wäre falsch, Zentangle nur auf diesen kleinen Teil der Konzentrationsförderung zu beschränken. Zwar gibt es gerade zu Beginn einiges, was du beachten musst, doch wenn du erst einmal angefangen hast, dich auf diese Art des Zeichnens einzulassen, wirst du sie so schnell nicht mehr aufgeben.

Zentangle sind wahre Wunderwerke, die immer und überall Verwendung finden können. Und sei es nur, um die Welt etwas schöner zu machen.

Hast du schon einmal Zentangle gezeichnet? Was gefällt dir besonders an dieser Kunstform und wo verwendest du sie am liebsten? Schreibe es mir in den Kommentaren.

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